Interview: Rainer Braun zu den Herausforderungen in der B2B Marktforschung 2020

2020 war ein außergewöhnliches Jahr, das keiner so vorhersehen konnte. Die Corona-Pandemie hat nicht nur die Wirtschaft, sondern uns alle vor große Herausforderungen gestellt – und tut es bis heute. Nicht nur der erste Lockdown, sondern auch die im Anschluss veränderten Arbeitsbedingungen – mehr Home Office, digitalere Arbeitsplätze, digitalere Marketingmaßnahmen und vieles mehr – haben die Mediennutzung beeinflusst. Deshalb war 2020 auch für den B2B Research ein besonderes Jahr. Welche Herausforderungen Marktforscher in diesen speziellen Zeiten zu meistern hatten, beschreibt uns Rainer Braun, Senior Projektleiter Research bei die-media.

 

 

Herr Braun, welche zentralen Entwicklungen nehmen Sie aus 2020 für das B2B Marketing mit?

2020 war in der Tat außergewöhnlich. Mit den Corona-bedingten Herausforderungen bin ich sehr früh in Berührung gekommen: Anfang Februar wollten wir mit einer China-Studie nach dem chinesischen Neujahrsfest ins Feld gehen und kamen damit mitten in den chinesischen Lockdown. Für uns hatte dies eine zeitliche Verschiebung zur Folge, die in diesem Jahr nicht die letzte bleiben sollte. Statt Anfang Februar konnten wir die Studie erst Ende März starten, als China sich wieder stabilisiert hatte. Dann waren B2B-Entscheider wieder zurück in ihren Unternehmen oder ließen sich im Home Office erreichen. 

Generell lässt sich für 2020 sagen, dass es das Jahr der Verschiebungen und Veränderungen ist, die final noch nicht abgeschlossen sind. Wir befinden uns auch derzeit noch in einer Phase, in der sich die Veränderungen – bedingt durch die Corona-Pandemie – in den gängigen Markt-Media-Studien noch nicht ausreichend niederschlagen. Studien, die „vor Corona“ durchgeführt wurden, verlieren zum Teil ihre Aussagekraft im Hinblick auf Mediennutzungswerte. Denken Sie doch nur an die Verschiebungen bedingt durch das Home Office: Gerade in Deutschland haben Fachmedien einen hohen Stellenwert. Nehmen wir hier z.B. die Printtitel: Sie werden in der Regel an die Leser ins Unternehmen gesendet. Werden dem Mitarbeiter seine Fachzeitschriften nachhause nachgeschickt oder nimmt er sich den Zeitschriftenstapel mit nach Hause? Liest er die E-Paper-Ausgabe? Wie stark verändert sich sein Medienverhalten hinzu digital? Mit einer neuen Studie wollen wir genau diese Fragestellungen angehen. Doch nicht nur die Mediennutzung ist digitaler geworden, sondern auch andere digitale Formate sind entstanden bzw. bestehende haben sich etabliert. Hier denke ich in erster Linie an digitale Veranstaltungen und Videokonferenzen.



Und wie werden sich die Veränderungen weiterentwickeln?

Das ist eine spannende Frage. In den letzten Monaten konnten wir bereits feststellen, wie digitale Veranstaltungen sowohl technisch als auch inhaltlich enorm an Qualität gewonnen haben. Aus unseren Studien vor Covid-19 wissen wir, dass Messen zu den Top-Informationsquellen im B2B-Bereich innerhalb der Customer Journey gehörten. Der Wegfall der Präsenzmessen führte zu virtuellen Messen wie zum Beispiel der SPS Connect. Außerdem setzen viele Industrieunternehmen auf eigene digitale Messen, auf denen Sie Ihre Produkte und Produktneuheiten vorstellen und mit ihren Kunden im Austausch sind. Diese virtuellen Kunden-Events begleiten wir mit Newslettern und Einladungslinks sowie mit über Zielgruppentargeting zugeschnittenen programmatischen Kampagnen.



Dass die Digitalisierung weiter voran schreitet, ist nichts Neues – dennoch hat das Jahr 2020 die Thematik verstärkt. Was bedeuten Ihre Erkenntnisse in Bezug auf die Digitalisierung für zukünftige Marketingstrategien von Industrieunternehmen?

Meiner Meinung nach wird die Aufgabenstellung für Marketer noch komplexer werden. Es gilt, zugeschnittene Marketingstrategien zu entwickeln, die das fragmentierte Medienverhalten der Zielgruppen abbilden. Zudem müssen die Budgets noch effizienter eingesetzt werden. Hierzu bieten aktuelle Erfahrungswerte aus Online-Forschung und programmatischen Kampagnen eine gewisse Planungssicherheit in der agilen Markenkommunikation. 

 

Wo wir beim Thema „Marke“ sind: 2019 haben Sie in einer Analyse herausgefunden, dass bei 44 Prozent der Geschäftsführer in der Industrie beruflicher Content auch privat Akzeptanz findet. Wie wirkt sich die Verschmelzung von Privat- und Berufsleben auf die Markenwahrnehmung aus? 

Das Thema Marke ist ein gutes Stichwort. Für die Markenführung ist es eigentlich Grundvoraussetzung, den IST-Zustand seiner Marke zu kennen. Leider liegen im B2B Bereich häufig keine empirischen Daten vor, weshalb wir für unsere Kunden den Markenfünfklang „Bekanntheit“, „Relevanz“, „Sympathie“, „Erfahrung“ sowie „First Choice“ erheben. Diese Grundlage sowie das Wissen um die Verschmelzung des Privat- und Berufslebens ist vor allem für programmatische Kampagnen hilfreich. So erweist es sich bei B2B Zielgruppen als sinnvoll, berufliche Werbung auf diversen Portalen und Apps sowie auf sozialen Netzwerken, die beruflich wie auch privat genutzt werden, auszuspielen. Über die Empirie kennen wir die Zielgruppen und Produktentscheider. Durch die darauf zugeschnittene Zielgruppen-Targeting-Strategie werden dann die B2B Zielgruppen entlang der Customer Journey erreicht. Auf diese Weise wird der berufliche Produktentscheider genau dort angesprochen, wo er sich mit hohem Involvement bewegt.

 

Und warum ist dieser zielgruppen-spezifische Ansatz auch im Employer Branding entscheidend?

Im B2B-Bereich haben wir es oft mit „Hidden Champions“ zu tun. Das bedeutet, um den Standort herum kennt man das Unternehmen, die Bekanntheit nimmt aber mit der Entfernung ab. Und gerade deshalb hängen die Maßnahmen von der Zielgruppe ab. Nehmen wir zum Beispiel die Zielgruppe der Auszubildenden. Aus unseren Studien wissen wir, dass gerade bei den Schülern die Multiplikatoren eine herausragende Rolle spielen. Bei der Jobsuche fragt man die Eltern, den Trainer oder die Freunde. Der Zielgruppenkorridor ist somit viel breiter als auf den ersten Blick angenommen. Deshalb müssen die Markenkommunikation und die eingesetzten Medien  zielgruppengerecht zugeschnitten werden. Regionales Engagement zahlt zwar auf die Arbeitgebermarke ein, dieses Engagement kann aber sozial, kulturell oder mit Blick auf die Zielgruppe der Schüler sportlich sein. Und jetzt kommt noch das Spezielle am Jahr 2020 dazu: Mit Blick auf Covid-19 und dem damit verbundenen Digitalisierungsschub sind zur Zeit zum Beispiel Informatik-Studierende überaus begehrt. Diese müssen in der Regel überregional rekrutiert werden. Meist kennt diese begehrte Zielgruppe die Hidden-Champions nicht. Wunscharbeitgeber sind IT-Big-Player, wie SAP oder Microsoft. Klassische Industrieunternehmen stehen nicht nur im Wettbewerb mit den „Software“- Riesen, sondern auch mit den bekannten Marken und großen Arbeitgebern. Industrieunternehmen sind in den Augen vieler potentieller Bewerber nicht unbedingt „sexy“, mit den Produkten kann die breite Öffentlichkeit nichts anfangen. Auch der Standort, z.B. ländliches Gebiet, kann ein Nachteil beim „War of Talents“ sein. Deswegen muss genau dort die Employer Marke professionell und zielgerichtet geführt werden. 

 

Neben dem deutschsprachigen Raum betreiben Sie Marktforschung auch international. Welche Unterschiede in der Mediennutzung sehen Sie? Was macht das besondere im internationalen Research aus? Und welche Kenntnisse lassen sich für den deutschsprachigen Markt gewinnen oder transferieren?

In der Mediennutzung können wir große internationale Unterschiede feststellen: Ein Zusammenhang besteht zum Beispiel zwischen dem Digitalisierungsgrad eines Landes und der Mediennutzung. Besonders gravierende Unterschiede zum Nutzungsverhalten hierzulande gibt es zu China – aber auch innerhalb von Europa. Außerdem müssen Sie länderspezifische Unterschiede in Hinblick auf das Contentmarketing beachten. So gibt es selbst zwischen den Nachbarländern Deutschland und Österreich Unterschiede bzgl. Sprache oder Assoziationen; z.B. „Wir schaffen das“ weckt in Deutschland politisch bedingt andere Assoziationen als in Österreich.

Und last but not least gilt dies auch für die Markenwerte: Im internationalen Vergleich haben deutsche Marken in der Regel in Deutschland einen „Heimvorteil“ und erzielen die besten Werte, in relevanten Zielländern sieht das oft ganz anders aus. Die Markenwerte sind dort auch von der jeweiligen Wettbewerberstruktur der Länder abhängig. Gerade bei der Sympathie können wir aus unseren Erfahrungen teils große Unterschiede feststellen. Eine fundierte Markenanalyse schafft hier eine Grundlage, um genau diese Faktoren zu erarbeiten. 

 

Herr Braun, vielen Dank für die interessanten Einblicke in die B2B Marktforschung und ihre Verschiebungen 2020!

 

Rainer Braun

Rainer Braun

Senior Project Manager Research,
diemedia GmbH

 

 

 

 

 

 

Zur Person:

Im Anschluss an sein BWL-Studium ist der Diplom-Betriebswirt seit rund 30 Jahren in der Marktforschung tätig. Seitdem betreut er sowohl quantitative als auch qualitative Marktforschungsstudien.

Seit 2008 ist Rainer Braun Senior Projektleiter Research bei die media GmbH und forscht für Kunden sowohl aus B2B- als auch B2C-Bereich. Dabei beobachtet er aktuelle Trends im deutschen und in internationalen Märkten und entwickelt Studien unter anderem zu den Themen Customer Journey, Marke, Werbewirkung und Employer Branding.

Zudem ist er im technischen Ausschuss der LAE –Leseranalyse Entscheidungsträger e.V. und vertritt dort die OMG e.V. (Organisation der Mediaagenturen).