Interview: Mark Herten zur Entwicklung der B2B Buyer Journey

Was jeder Konsument bei sich selbst spürt, zeigt sich immer stärker auch im Geschäftsumfeld: die B2B Customer Jouney verschiebt sich zunehmend ins Digitale. Laut neuesten MC Kinsey-Zahlen finden ca. 70 % der B2B Buyer Journey mittlerweile digital statt. Was bedeutet das für B2B Unternehmen? Wie müssen sie reagieren oder haben sie schon agiert? Fragen, denen wir mit Mark Herten, Geschäftsführer von Publitek Deutschland, in diesem Interview nachgegangen sind.

 

Herr Herten, was bedeutet diese Verschiebung der B2B Buyer Journey in den digitalen Bereich für deutsche Industrie-Unternehmen?

Nun, zunächst will ich festhalten, dass deutsche B2B Unternehmen in Bezug auf die digitale Buyer Journey oft massiv hinterherhinken. Mit einem Blick auf den globalen Markt sind die dortigen Firmen in diesem Punkt in der Regel 10-15 Jahre voraus. Das Thema wird hierzulande seit der Corona-Pandemie verstärkt thematisiert. 

Zuvor setzten die Marketing- und Vertriebsverantwortlichen hauptsächlich auf B2B Messen und Events, die dann aber wegfielen. Jetzt haben sich viele Verantwortliche darüber gefreut, wie viel Geld sie im vergangenen Jahr gespart haben. Doch auch wenn die Zahlen im vergangenen Jahr trotz allem gar nicht schlecht waren, ist das zu kurz gedacht. Viele vergessen dabei die Buying Cycles: das heißt, die Leads, die Unternehmen im letzten und diesen Jahr nicht generiert haben, werden sich erst in den nächsten Jahren in den Zahlen bemerkbar machen. Es gab also keinen Grund zur Freude, dass man Geld gespart hat. Stattdessen hätte man dieses Geld direkt in die Hand nehmen und investieren müssen – und zwar die volle Summe. Das ist leider selten passiert. Nur sehr, sehr wenige gehen das Digitalisieren ihres Marketings und Vertriebs konsequent genug an – einzelne Maßnahmen zwar schon, aber nicht in der letzten Konsequenz.

 

Was heißt das? Welche Maßnahmen sind ihrer Meinung nach derzeit entscheidend, um die B2B Buyer zu erreichen und dann auch von sich zu überzeugen?

Hier möchte ich auf 4 wesentliche Punkte eingehen:

  • B2B Unternehmen müssen Sichtbarkeit schaffen. Denn, wenn ich nicht (oder weniger) auf Messen und Events unterwegs bin, bin ich nur für meine Bestandskunden sichtbar, nicht aber für Neukunden. Zur Sichtbarkeit gehören für mich PR, Websites, Social Media, Blogs, Influencer Relations und auch Offline-Aktivitäten wie Engagements in Verbänden, bei Fach-Communities oder Universitäten. Mittels all dieser Maßnahmen muss ich es schaffen, meine Marke weiter im Markt präsent zu halten.
  • Das zweite sind Interaktionsmöglichkeiten. Da die physischen Events wegfallen, muss ich mir Alternativen erarbeiten: das können digitale oder hybride Events, Webinare, Umfragen, Kundenbesuche, Roadshows oder Produktvorführungen mittels Virtual Reality sein – die im Übrigen meist auch wesentlich günstiger sind als die großen Events.
  • Als dritten Punkt muss ich digitale Informations- und Einkaufsangebote schaffen, denn nur so kann ich eine digitale Customer Experience aufbauen. Ein eigener Shop, eine User-Community oder ein Extranet mit exklusiven Inhalten, Anleitungen, technische Dokumentationen, Trainingsvideos, etc. für Kunden sind hier bspw. denkbar.

  • Punkt vier sind natürlich digitale Leadgenerierungsmaßnahmen bzw. Content Marketing: mit Whitepapern, Webinaren, Infografiken, Guides, Checklisten, etc. lassen sich natürlich nach wie vor gut Leads generieren, auch wenn die Messen-Präsenzen wegfallen.

     

Eine kurze Nachfrage: Sie haben in Bezug auf die Sichtbarkeit die Unternehmenswebseite genannt. Wie wichtig ist sie? Was macht für Sie eine optimale Webseite aus?

Für mich ist die Unternehmenswebsite super wichtig, sie ist der erste Vertriebsmitarbeiter. Warum? Weil mittlerweile eben 70 % der B2B Buyer Journey digital sind. Über 80 % der B2B Buyer fangen jede Produktsuche über das Internet an. Dazu sind immer mehr Entscheider bereit, größere Summen direkt online auszugeben – in Asien gehen sie sogar noch weiter. Dort zeigen neueste Zahlen, dass B2B Buyer sogar bis zu 50.000 Euro per Mouseclick ausgeben. Das heißt, deutsche B2B Unternehmen unterschätzen für mich die Bedeutung, die eine Unternehmenswebseite – als Visitenkarte, als Vertriebsmitarbeiter, als erster Kontakt zum Kunden hat. Viele denken immer noch, sie brauchen die User Experience, die aus dem B2C erlernt ist, nicht. Das ist aber schlichtweg falsch. Die Digitalisierung macht nicht halt, sie schreitet weiter voran. Demnach muss die Unternehmenswebseite professionell aufgestellt und genutzt werden – auch der Vertrieb muss direkt mit ihr verbunden sein. Die Webseite muss genau das transportieren und darstellen, was der Vertrieb auch macht: Den Kunden bei seinen Bedürfnissen abholen, die Problemherausforderungen des Kunden auflösen bzw. den Search Intent bedienen, den Kunden fachlich informieren, die eigene Marken- und Produktwelt erlebbar machen, den Kunden emotional abholen, die User Experience beachten, Vertrauen aufbauen und den Mehrwert einer Zusammenarbeit in den Vordergrund stellen. Schafft man das auf der Webseite abzubilden, erfüllt diese die Aufgaben eines guten Vertriebsmitarbeiters und eröffnet somit mögliche Geschäftsbeziehungen.


Und wie oft sollte man die eigene Webseite auf den Prüfstand stellen, aktualisieren bzw. überarbeiten?

Aus meiner Sicht gibt es keinen festen Zeitpunkt – alle 2,3 oder 5 Jahre – für einen Website-Relaunch. Im Gegenteil: Ich würde sagen, man sollte seine Webseite so zukunftsfähig und modular aufsetzen, dass man jederzeit Teile aktualisieren und anpassen kann. Ein Website-Relaunch wird so nicht mehr nötig, da ich neuen Content einbauen, Inhalte austauschen oder sogar das Layout anpassen kann. Was ich aber permanent im Auge behalten muss ist SEO. Das heißt, wenn ich aufgrund von SEO-Analysen merke, meine Webseite kommt nicht mehr an, dann muss ich sie dementsprechend anpassen. Wichtig ist hierbei: Nicht die eigene Marke, Markenwelt und das passende Layout sollten im Vordergrund stehen, sondern die User Experience. Viele B2B Unternehmen lassen sich leider von ihrer eigenen Markenwelt zu sehr berauschen und vergessen darüber, was der Kunde will.


Was heißt, sie vergessen den Kunden?

Naja, beim Website-Design sollte der Kunde im Vordergrund stehen. Technisch bedeutet das, dass man seine Webseite individualisiert, seinen Kunden möglichst schnell erkennt und ihm dann bspw. ein individualisiertes User Face bietet. Oder wenn ich weiß, was mein Kunde will – Brancheninformationen, Sprache, ein spezifisches Produkt – dann führe ich ihn direkt dorthin und nicht auf die allgemeine Webseite.


Gehen wir zurück zur Buyer Journey. Wenn die Aufmerksamkeit per Marketingmaßnahme erzeugt ist, wie geht es weiter? In der Vergangenheit war der persönliche Kontakt ja entscheidend – mal ein Treffen auf einer Veranstaltung, ein Bierchen auf der After-Event-Party oder ein Telefonat im Nachgang. Da sich dieser „Erstkontakt“ ins Digitale verschiebt, wie kann der Kundenkontakt nun aufrecht erhalten werden?

Das ist natürlich nach wie vor Aufgabe des Vertriebs. Wobei man schon sagen muss, der B2B Kunde ist so informiert wie noch nie. Das heißt, die Aufgabe des Vertriebs ist nicht mehr primär, den Kunden über seine Produkte und Lösungen aufzuklären, sondern eine persönliche Beratung, eine persönliche Beziehung und Vertrauen aufzubauen. Hier lohnt sich ein Vergleich: Wenn Sie heute zum Arzt gehen, recherchieren Sie im Vorfeld meist schon, was sie haben könnten. Ähnlich ist es im B2B: Der Kunde informiert sich vor dem ersten Kontakt bereits über das Produkt, das Unternehmen, Wettbewerber, usw. Als Vertriebsmitarbeiter bedeutet das nun, dass er mit Webinaren, Live-Chats, Telefonaten, exklusiven Contents eine Beziehung aufbauen und nach dem Abschluss natürlich auch weiter Kundenpflege betreiben muss.


Das heißt, der persönliche Kontakt ist aber immer noch entscheidend?

Absolut. Und das wird auch auf absehbare Zeit so bleiben, davon bin ich überzeugt. Wir sprechen ja immer noch über komplizierte, beratungsintensive Produkte – das geht nur über den persönlichen Kontakt. Anders sieht es aus, wenn es sich um Commodities, Ersatzteile oder Ähnliches handelt, dann kann man problemlos auch einen Online-Shop anbieten. Sehen Sie sich doch nur den Online-Shop von Jungheinrich an: Dort können sie aus über 100.000 Artikeln rund ums Stapeln und Heben auswählen. Das geht schon, aber besonders erklärungsbedürftige Produkte werden nach wie vor im persönlichen Kontakt verkauft.

 

Der persönliche Kontakt ist also das eine, das Voranschreiten der Digitalisierung und damit einhergehend der Blick auf die Technologien das andere. Da drängt sich mir mit Blick auf das B2B Marketing noch eine Abschlussfrage auf: Welche technischen Möglichkeiten im B2B Marketing werden für Sie in der Zukunft entscheidend sein, um der B2B Buyer Journey gerecht zu werden?

Mit Blick auf die unzähligen Touchpoints, die immensen Daten, Tools und Analysewerkzeuge wird für mich eine Marketing-Automation-Software mit Advanced Analytics, einer guten CRM-Anbindung und einem Content Management System unabdingbar. Denn nur dort lässt sich alles bündeln, können wir den Überblick behalten und Prozesse steuern. Weiterhin denke ich, dass Machine Learning, wenn es darum geht, herauszufinden, was die Kunden wollen, eine immer wichtigere Rolle spielen wird.

 

Herr Herten, vielen Dank für diesen interessanten Austausch über die Entwicklungen in der B2B Buyer Journey und den notwendigen ToDos für B2B Unternehmen!

 

Mark Herten

Mark Herten
Geschäftsführer von Publitek Deutschland

Zur Person:

Mark Herten ist Geschäftsführer von Publitek Deutschland und Experte für Technik-PR und Content-Marketing für die Industrie. Als Leiter der deutschen Organisation der B2B-Fullservice-Agentur Publitek hilft er Technologieunternehmen, technische Zielgruppen mit relevanten Inhalten zu begeistern. Zudem ist er Host des B2B Marketing-Podcasts #markfragtnach.